Die Geschichte der drei Gemeinden Schützengrund, Rehbruch und Auerswalde

Als der Deutsche Ritterorden das Preußenland von 1230-1283 eroberte, war es seine Hauptsorge, das Land zu besiedeln. An der Kolonisation beteiligten sich Preußen, Deutsche und besonders die Polen aus Masovien. Da die Bauern hier in recht schlechten Verhältnissen lebten, waren sie nicht stark an die Scholle gefesselt. Daher wandten sie sich, um ihr Los zu verbessern, in großer Zahl nach dem südöstlichen Teil des Ordenslandes. Dieses Gebiet erhielt von ihnen den Namen "Masuren". Nach der Niederlage bei Tannenberg 1410 und nach der Anerkennung der Oberhoheit Polens 1466 wurden die Polen zur Ansiedlung direkt ermuntert. So entstanden in dieser Zeit unter vielen anderen ca. 20 Kilometer südöstlich von der Ortulfsburg in der Nähe des Radzinberges drei Siedlungen: Orzesky, Radostowo und Nowy Suchoros.

In Orzesky war Orsessek wohl einer der ersten Siedler. Weitere Siedlernamen sind Zielony, Pomorin, Malkus, Naroska, Przygodda, Schützek, Rattay, Mosdzen, deren Nachkommen bis in die jüngste Zeit in den drei Gemeinden wohnten. Um 1800 hat man die alten Namen geändert: Aus Orzesky wurde Zielonygrund, Radostowo nannte man Radostowen, und Nowy Suchoros hieß nun Neu-Suchoros.

Um 1840 hat sich ein deutscher Bauer in Neu-Suchoros ein Grundstück von 240 Morgen angekauft, da der Preis für Grundstücke in Masuren niedrig war. Er baute sich außerhalb der Gemeinde auf seinem Boden einen Hof auf und gab ihm den Namen "Auerswalde". Der Bauer hielt es nicht lange dort aus, aber der deutsche Name "Auerswalde" blieb und galt seit 1934 als Ortsname für die ganze Gemeinde.

Das Gebiet der drei Gemeinden reichte vom Radzinberg bis fast an den Liebenberger Höhenzug. Es war ein sumpfiges, mit Gestrüpp und Buschwerk überwuchertes, unwegsames Gelände. Sümpfe, die das Siedlungsgebiet umrahmten, waren in früheren Kriegszeiten ein Schutzwall für die Einwohner. Wer von Liebenberg über Zielonygrund nach Fürstenwalde fahren wollte, mußte sich stellenweise durch einen Morast hindurcharbeiten. Allmählich hat man die schlechtesten Wegstrecken mit Bohlen überdeckt. Der Bauer Wlilhelm Przygodda aus Rehbruch hat 1920 auf seiner Wiese mit dem Kulturpflug einen solchen Bohlenweg ausgepflügt.

Ackerbau und Viehzucht sind für die Bauern die Hauptnahrungsquelle. Die Bodenbeschaffenheit ist für den Ackerbau von höchster Wichtigkeit. Der Boden hier war leider nicht sehr ertragreich, er bestand aus leichtem Sand, teilweise aus fliegendem Dünensand. Nur am Radzinberg hatten einige Bauern guten Lehmboden und somit eine höhere Bonitätsklasse. Einen Lehmstich hatte jede Gemeinde, von wo der Lehm für die Baulichkeiten geholt wurde.

Im Sandboden fanden sich oft Stellen mit Raseneisenstein. Für die Landwirtschaft ist der lagernde Raseneisenstein sehr schädlich. Er macht den Boden undurchlässig und verhindert eine ausreichende Durchlüftung. Stellenweise waren die Schichten des Eisenerzes von ganz erheblicher Stärke. Auf diesen Raseneisensteinvorkommen beruhte der Betrieb der Hochöfen, die bei Willenberg und Ortelsburg in frühen Jahren bestanden. Wenn beim Ackern der Pflug tiefer eingelassen wurde, hob er eine Schicht dieser Steine hoch. – Der Ertrag auf solchen Böden war recht gering. Man sah dürftige Ackerfelder, hauptsächlich Kartoffeln, Buchweizen und schwachen Roggen. Vom Buchweizen sagte man, daß er in sieben Jahren einmal eine gute Ernte brachte.

Die Ackerweiden auf diesem leichten Boden waren für das Vieh ungesund. Die Tiere wurden immer magerer. Diese Krankheit nannte man Lecksucht. Wenn mit der Weide nicht gewechselt wurde, gingen die kranken Tiere allmählich ein.

Das ganze Gemeindeland der drei Ortschaften war eine Ebene mit leichten Wellenerhebungen mit Gefälle nach Süden. Die Senkung war sanft, daher hatte das Wasser keinen schnellen Abfluß. Es plätscherte in 100 Rinnsalen dahin und machte die flachen Täler sumpfig. Durch die Fürsorge des Staates ist jedoch eine Verbesserung eingetreten. Vor 1870 wurde der Ost- und Westkanal ausgehoben. Die weiteren Arbeiten, nämlich die Anlage kleinerer Abzugsgruben, das Einebnen, Eggen Walzen, Düngen, Besäen wurden von den Bauern erfolgreich durchgeführt. Danach waren die Wiesen trockener und fester. Die sauren Gräser verschwanden. Die Wiesen wurden gepflügt und mit edlen Gräsern besät. Aus den sumpfigen Wiesen sind Kulturwiesen geworden. – Herr Landrat von Poser hat nach dem Ersten Weltkrieg viel zur Verbesserung der Wiesen getan. Vom Arbeitsdienst ließ er die Kanäle vertiefen und begradigen. Durch Verhandlung mit dem polnischen Starosten erreichte er, daß der Ost- und Westkanal in Polen Vorflut erhielt.

Die Kultivierung der Wiesen hatte eine Verbesserung der Ackerbestellung zur Folge gehabt. Sie ermöglichte eine reichere Viehhaltung, und durch den Dünger konnten dem mageren Sandboden Nährstoffe zugeführt werden. Auf Ländereien, die früher im günstigsten Falle das vierte und fünfte Korn brachten, wird jetzt vielfach das achte bis zwölfte Korn geerntet.

Landwirte unter 30 Morgen und Kätner wurden als Waldarbeiter in den fiskalischen Wäldern beschäftigt. Sie fanden den Winter über Arbeit im Walde, wofür sie neben dem Lohn auch Deputatholz, Reisig-, Nutz- und Bauholz bevorzugt gegen mäßige Bezahlung erhielten. Für ihr Vieh wurde ihnen freie Weide in bestimmten Jagen gewährt. Zur Bestellung ihres Ackers gebrauchten sie ihre Milchkühe als Zugtiere für den Arbeitswagen und die Ackergeräte. Die Einnahmen von der Waldarbeit und aus der Landwirtschaft waren sehr gering. Die Leute verkauften die anfallenden Eier und die Butter auf dem Markt. Sie waren sparsam, um ihre Erzeugnisse selbst zu verbrauchen. Der Lebensstandard war recht bescheiden.

Als vor 1900 für das Ruhrgebiet Arbeitskräfte gesucht wurden, sind viele junge Leute ins Kohlenrevier abgewandert. Auch verheiratete Kätner sind den Winter über in den Kohlenpott gefahren, haben Geld verdient und sind zur Feldbestellung im Frühjahr mit vollem Säckel heimgekehrt.

Die Abwanderung der jungen Kräfte ins Industriegebiet veranlaßte die Behörde, Masuren wirtschaftlich zu fördern. Chausseen wurden gebaut, um das Land dem Verkehr anzuschließen. Vor 19OO erfolgte der Bau der Chaussee von Ortelsburg nach Lindenort und weiter nach Fürstenwalde. Zu gleicher Zeit baute man auch die Chaussee von Fürsrenwalde über Schützengrund nach Friedrichshof aus. Durch diese Chaussee wurden die drei Gemeinden dem großen Verkehr angeschlossen. Die Kuhfuhrwerke verschwanden allmählich. Man erwarb ein Rößlein. Die Kühe dienten nur der Milcherzeugung, denn in Schützengrund wurde eine Meierei eingerichtet.

Schulverhältnisse in Schützengrund

Zur Zeit der Einführung der Reformation 1525 wurde im südöstlichen Masuren nur polnisch gesprochen. Am stärksten war das Polentum in den Gebieten Ortelsburg, Johannisburg und Lyck. Daher bot in Masuren die Beschaffung von geeigneten Lehrkräften wegen der polnischen Bevölkerung ganz besondere Schwierigkeiten. Die meisten Schulmeister konnten entweder gar nicht oder nur gebrochen deutsch sprechen. Viele Schulstellen konnten gar nicht oder nur mit unzureichenden Lehrkräften besetzt werden. Um 1830 wurde in Schützengrund ein Schneider als Lehrer angestellt, der auch deutsch sprach. Er unterrichtete die Kinder der drei Gemeinden, die sich zu einem Schulverband zusammengeschlossen hatten. Der Schulunterricht fand im Hause des Jakob Jendrzejewski statt. 1840 wurde ein Schulhaus errichtet. Es war ein Holzbau mit Strohdach. Bis 1912 wurde darin unterrichtet.

Seit dem Bestehen von Seminaren war man bestrebt, Lehrer, die nur der polnischen Sprache mächtig waren, durch solche zu ersetzen, die auch deutsch sprachen.

Die Schülerzahl hat sich stetig vermehrt. 1880 hatte Lehrer Hübner 100 Kinder in der Klasse. Es wurde ein Klassenraum in der Gemeinde gemietet. Die ersten beiden Lehrer an der zweiklassigen Schule waren I. Lehrer Kitscha und II. Lehrer Knapp. Nach Lehrer Kitsch, der nach Berlin-Lichterfelde versetzt wurde, kam der I. Lehrer Karpa. Die jungen Lehrer wechselten sehr oft. Auf Knapp folgten Matull, Damerau, Nickel, Sadowski, Naroska.

Die Schülerzahl stieg über 100. Der Schulbetrieb wurde auf drei Klassen mit zwei Lehrern umgestellt. Das alte Schulhaus war schon baufällig und entsprach nicht mehr den schulischen Belangen. Da beschloß die Regierung, in Schützengrund eine neue Schule zu bauen. 1910 begann man mit dem Bau einer dreiklassigen Schule mit drei Lehrerwohnungen. Am 1. 10. 1912 fand die Einweihung statt. Das alte Schulhaus kaufte ein Bauer aus Lindenort zum Abbruch.

In die neue Schule zogen als I. Lehrer Otto Kraschinski und als II. Lehrer Adolf Steffan ein. 1914 mußte Kraschinski ins Feld rücken. Steffan wurde am 1. 10. 1915 auf die einklassige Schule in Wehrberg versetzt. Vom 1. 10. 1915 verfügte die Regierung den Lehrer Eugen Jobski auf die II. Lehrerstelle in Schützengrund und nach Erledigung der I. Lehrerstelle vom 1. 1. 1919 als I. Lehrer. Vom 1. 10. 1915 - 31. 12. 1918, versah Lehrer Jobski den Schuldienst in drei Klassen mit 152 Kindern allein. Am 1. 1. 1919 kam als II. Lehrer Kurt Klaar, der fünf Jahre in Schützengrund tätig war. Ihm folgten Ernst Bomblies bis 1927, Max Knizia, Fritz Schönberg bis 1932, Franz Admassek bis 1933 und Hans Hoppe bis 1937. Jobski wurde 1937 nach 22jähriger Amtszeit in Schützengrund nach Rohmanen versetzt. Hoppe zog 1937 wieder in seine Heimat Güsen bei Magdeburg zurück. Von 1937-1945 waren in Schützengrund als Lehrer tätig: Hartmann, Dolgner, Blaschke, Hofer, Schulz und Gunia.

Wähend des Ersten Weltkrieges nahm die Bevölkerung in den drei Ortschaften ungewöhnlich zu. Die Lebensmittelknappheit in den Industrigebieten veranlaßte viele Invaliden, Bergwerks- und Fabrikarbeiterwitwen mit ihren Kindern aufs Land zu ziehen. Insbesondere die ehemaligen Auswanderer aus den drei Gemeinden fanden sich sehr zahlreich wieder ein. Die Einwohnerzahl stieg 1917/18 gehörig an.

Statistik   1918   1931
Schützengrund: 380 Einw. / 76 Schulk. 288 Einw. / 56 Schulk.
Rehbruch: 277 Einw. / 54 Schulk. 198 Einw. / 40 Schulk.
Auerswalde: 113 Einw. / 22 Schulk. 90 Einw. / 16 Schulk.
770 Einw. / 152 Schulk. 576 Einw. / 112 Schulk.

Der angrenzende Wald bot den Einwohnern eine gute Einnahmequelle. Der Pilz- und Beerenreichtum war unerschöpflich. Wenn die Ernte einsetzte, zogen die Frauen mit ihren Kindern mit Eimern und Körben in die Forst, um Beeren zu sammeln oder Pilze zu suchen. Geschickte Hände haben schnell die mitgeführten Gefäße gefüllt. Zur verabredeten Stunde wartete im Dorf das Beerenauto. Der Aufkäufer nahm die gesammelte Beerenmenge ab. Nächsten Morgen bot er die Blaubeeren schon in Königsberg auf dem Markt an. Das Beerensammeln brachte Geld ein. Manche Frau, die recht fleißig gesammelt hat, konnte sich für den Erlös einen schönen Mantel kaufen.

Am meisten besucht wurde der Radzinberg. Er hatte auf seinem höchsten Gipfel eine baumfreie Platte. Hier fanden sich die Ausflügler am Sonntag ein, wo sie bei Spiel und Tanz die Waldluft genossen. Bis 1914 stand auf dem freien Platz des Berges ein Aussichtsturm. Er war ca. 30 m hoch. Man hatte von hier eine schöne Aussicht bis Ortelsburg, Willenberg und Friedrichshof. Auch nach Süden konnte man weit schauen. Als 1914 die Russen über die Grenze kamen, haben sie den Turm gestürzt.

Während der Radzinberg mehr das Ziel der Einwohner von Rehbruch war, hatte Schützengrund auch einen Festplatz in der Oberförsterei Friedrichsfelde. 1925 wurde in Schützengrund ein Schützenverein gegründet, als dessen Vorsitzender Bauunternehmer Joh. Przygodda gewählt worden ist. Der Vorstand verhandelte mit der Oberförsterei um eine geeignete Waldparzelle für den Scheibenstand. Die Forstverwaltung überließ dem Verein eine freie Waldparzelle von ca. 2 ha pachtweise zum Ausbau eines Schießstandes. Ein Antrag des Schützenvereins, diesen Platz "Hindenburgplatz" zu nennen, wurde genehmigt. Die Einweihung des Hindenburgplatzes gestalete sich zu einem großen Volksfest. Schützenkönig wurde Schützenbruder Jobski. Jedes Jahr gab es auf dem Hindenburgplatz ein Preisschießen verbunden mit Tanz. Auch die Reichsjugendwettkämpfe wurden hier ausgetragen.

Die Abfuhr des geschlagenen Holzes hat den Fuhrwerkbesitzern namhafte Einnahmen verschafft. Den ganzen Winter wurde Holz gerückt. Seitdem die Chaussee über Schützengrund ausgebaut war, konnte das Langholz nach Friedrichshof, Lindenort, Willenberg und Ortelsburg zu den Schneidemühlen transportiert werden. – In Schützengrund waren zwei Handwerksmeister ansässig, die sich wahrscheinlich nur der Holzrücker wegen hier niedergelassen haben. Es war der Schmiedemeister Martin Zawallich und der Stellmacher Friedrich Rzadkowski. Zawallich hat als Soldat bei den Wrangelkürassieren in Königsberg gedient. Er wurde als Schmied zur Lehrschmiede kommandiert und erwarb sich das Zeugnis als Hufbeschlagschmied. Das war für ihn ein großer Vorteil, denn nicht alle Schmiede dürfen Pferde beschlagen.

Zawallich stand der Schmiede in Schützengrund viele Jahre vor. Zusammen mit seinen drei Söhnen hat er die Pferde scharf beschlagen und die Fahrzeuge in Ordnung gehalten. Er gehörte einer Sekte an. Das Sektiererwesen stand hier in der Gegend in hoher Blüte. – Zawallich konnte keine Raucher leiden. Wer mit der Pfeife oder Zigarre zur Schmiede kam, dem erzählte er seinen Spruch: Wenn der liebe Gott es haben wollte, daß die Menschen rauchen, dann hätte er sie mit einem Schornstein auf dem Kopf geschaffen.

In Rehbruch war ein tüchtiger Böttcher ansässig mit Namen Seidel. Er hat nicht nur auf Bestellung Waschteinen, Wassereimer, Butterfässer hergestellt. Jeden Jahrmarkt in der Umgebung hat er mit einer Fuhre Böttcherware aufgesucht und sie dort abgesetzt.

In Schützengrund gab es auch ein Gasthaus mit Kolonialwarenhandlung. Der erste Gastwirt hieß Bork. Er hat seine Wirtschaft ausgangs des Dorfes an der Straße nach Rehbruch ausgebaut. Das Gasthaus ist leider durch Feuer vernichtet worden. Bork kaufte sich einen Bauplatz an der Schule. Dadurch hatte das Gasthaus inmitten des Dorfes eine günstigere Lage. – Später kaufte Samuel Rattay die Gastwirtschaft. Der Leiter des Geschäfts war sein Schwager Adolf Rettkowski als gelernter Kaufmann. 1925 hat S. Rattay das alte Geschäftshaus abgebrochen und ein massives dafür gebaut. – In Rehbruch eröffnete Otto Katzinski als gelernter Kaufmann 1935 einen Laden für Kolonialwaren.

Schützengrund hatte eine landwirtschaftlich genutzte Fläche von 1000 Morgen, die auf 35 landwirtschaftliche Betriebe verteilt waren:   2 Betriebe über 100-120 Morgen   3 Betriebe über 50-100 Morgen   19 Betriebe über 25-50 Morgen   11 Betriebe unter 25 Morgen   35 Betriebe

Rehbruch hatte eine landwirtschaftlich genutzte Fläche von 1300 Morgen, die auf 27 Betriebe verteilt waren:   2 Betriebe mit 150-200 Morgen   6 Betriebe mit 100-150 Morgen   4 Betriebe mit 60-100 Morgen   5 Betriebe mit 20 bis 60 Morgen   10 Betriebe unter 20 Morgen   27 Betriebe

Die Meierei in Schützengrund

Der Meierist Gustav Roßmannek aus Lehmanen hat 1906 in Schützengrund ein Grundstück von dem Kätner Adam Przygodda gekauft. Darauf richtete er eine Meierei ein. Die Milch wurde ihm aus den Gemeinden Schützengrund, Rehbruch, Auerswalde, Wehrberg, Ohmswalde und Liebenberg angeliefert. Der Kreis der Milchlieferanten stieg von Jahr zu Jahr. Es kamen noch die Ortschaften Zielonen, Friedrichstal, Weißengrund, Conraden und die Abbauten von Fürstenwalde hinzu. Infolge der großen Milchlieferungen sah sich Roßmannek gezwungen, eine größere Meierei aufzubauen. 1935 war die neue Meierei fertig, sie wurde mit modernen Maschinen ausgestattet. In dem Betrieb stellte man Butter, hauptsächlich Tilsiter Käse und Quark her. Die Molke verwertete man in der Schweinemästerei.

Die Ortelsburger Meiereigenossenschaft hat eine große Meierei ausgebaut. Der Milchanfall war zu gering, um den Betrieb voll auszulasten. Die Genossenschaft suchte durch Pachtung der nächstliegenden Meiereien die Milchmenge zu steigern. Sie machte auch Roßmannek ein solches Angebot. Doch Roßmannek lehnte ab. Da verfügte der Milchwirtschaftsverband Königsberg 1938 die Stillegung der Meierei in Schützengrund, und die Milch wurde nach Ortelsburg abgeholt.

Rindvieh- und Pferdezucht

In der Rindvieh- und Pferdezucht kann sich Masuren mit anderen deutschen Gebieten nicht messen. Die einheimische alte Viehrasse war klein und genügsam in Weide und Winterfutter, hinsichtlich der Milch zeigte sie sich weniger ergiebig als die veredelte Rasse. Erst als um 1850 der Staat durch Aufstellung von Deckstieren anfing, das alte Zuchtmaterial zu verdrängen, gestalteten sich die Verhältnisse besser. Die Pferdezucht beschränkte sich früher nur auf den eigenen Bedarf. Der masurische "Kunter" war klein, kurzhalsig, hatte kräftige Muskeln und Sehnen und zeigte große Ausdauer. Er war genügsam in Weise und Fütterung. Erst seit der Einrichtung der Deckstationen zeigte sich überall das Bestreben, Soldatenpferde zu züchten. Die meisten Bauern in den drei Gemeinden haben die Pferdezucht intensiv betrieben.

Suchkommandos

Als die Lebensmittelknappheit in den Kriegsjahren des Ersten Weltkrieges immer größer wurde, mußten die Bauern und Landwirte das Korn abliefern. Die Folge war, daß verschiedene Bauern einen Teil des Kornes als Reserve versteckten. Die Behörde erließ die Verordnung, nach versteckten Korn zu suchen. Es wurden Kommandos gebildet, die in den Orten unter Leitung des Landjägers oder Bürgermeisters die Gehöfte durchkämmten. Einen Suchauftrag hat auch der Bürgermeister von Schützengrund erhalten. Das Suchkommando ging von Gehöft zu Gehöft. Die drei Mann betraten auch das Haus des Ferrarius. Der alte Kachelofen erschien verdächtieg. Einer öffnete die Ofentür und – der Buchweizen floß heraus. Ferrarius hatte den Hohlraum des alten Kachelofens vergrößert, um darin seinen Buchweizen zu verstecken. Natürlich wurde der Fund beschlagnahmt. Ferrarius mußte noch Strafe zahlen.

Feuer beim Bürgermeister

Einige Wochen nach dieser Beschlagnahme, am 9. Mai 1918, ist beim Bürgermeister große Wäsche. Viel Feuerholz wird in die Waschküche getragen. Am ersten Tag ist man mit der Wäsche noch nicht fertig. Nächsten Tag soll die Fortserzung folgen. – Um Mitternacht sieht Ferrarius als nächster Nachbar des Bürgermeisters das Wohnhaus in hellen Flammen stehen. Er weckt sogleich die Familie, aus dem ersten festen Schlaf. Fünf Personen sprangen durch das Fenster ins Freie. Die Familie rettete nur ihr nacktes Leben. Am Feuer wurde gerufen: "Das hat Ferrarius gemacht!" – Die Brandkommission hat auch den Ferrarius vernommen. Ferrarius kam als Brandstifter nicht in Frage. Der Bürgermeister hat vom Landratsamt eine Beihilfe von 2500 RM erhalten.

Die Abstimmung

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde durch den Friedensvertrag von Versailles bestimmt, daß sich die Masuren durch eine Volksabstimmung für Deutschland oder für Polen zu entscheiden haben. Wahlberechtigt waren nur die gebürtigen Masuren. Alle Personen, die über die Grenzen Masurens innerhalb Deutschlands ausgewandert waren, erhielten zur Abstimmung freie Fahrt zu ihrem Geburtsort. Die Abstimmung erfolgte gemeindeweise. Als Abstimmungstag wurde der 11. Juli 1920 festgesetzt. In den Gemeinden Rehbruch und Auerswalde gab es keine polnische Stimme, während in Schützengrund sieben Wahlberechtigte für Polen stimmten.

Auf der Suche nach einer deutschen Benennung des Ortes hat sich die Gemeinde an das Archiv in Königsberg gewandt. Aus einem Schreiben war zu ersehen, daß um 1820 in Zielonygrund ein Förster Schütz Dienst tat. In Anlehnung an diesen Namen entstand für die Gemeinde der Name "Schützengrund". Für Radostowen ergab der Wildreichtum den Namen "Rehbruch". Die Gemeinde Neu-Suchoros übernahm den Namen des Gehöftes Auerswalde für die ganze Gemeinde.

Lewandowska

Lange vor dem Ersten Weltkrieg trieb im Kreise Ortelsburg ein polnischer Agent mit Namen Lewandowski sein Unwesen. Er suchte deutsche Grundstücke zu kaufen. Verschuldeten Bauern bot er Geld auf Hypothek an und sicherte sich das Vorkaufsrecht. Einmal landete er auch in Schützengrund. Im Gasthaus führte er diesbezügliche Gespräche. Dem Wodka wurde kräftig zugesprochen. Mit schwerem Kopf ging der Agent in die Nacht hinaus. Als er ein Stück gegangen war, wurde er müde. Er sah vor sich einen gewaltigen Baum. Das war eine Birke. Er legte sich am Stamm nieder und schlief bis in den hellen Morgen. Die Vorübergehenden erkannten den Schläfer. Seit dieser Zeit gab der Volksmund dieser Birke den Namen "Lewandowska".

Das Ende der Lewandowska

Die Birke überschattete mächtig das anliegende Land, und ihre Wurzeln stießen weit vor in das Feld. Im Umkreis von einigen Metern wuchs nichts unter diesem Baum. Mit den Jahren wurde der beschattete Kreis immer größer und brachte keinen Ertrag. Dieser Ausfall gefiel dem Anlieger mit der Zeit nicht. Er stellte kurzentschlossen einen Antrag bei der Kreisbehörde auf Entfernung dieses Baumes. Als Ersatz für den jahrelangen Schaden bat er, ihm den Baum zu überlassen. Die Behörde ging darauf nicht ein. Waldarbeiter wurden beauftragt, den Baum zu fällen. Sie umgruben den Stamm und lockerten die Wurzeln. Der Wind erfaßte die mächtige Krone und riß den Stamm mit allen Wurzeln heraus. Es gab viele Reisighaufen und viel Klobenholz, das auf dem nächsten Holztermin verkauft wurde.

Einen technischen Fortschritt erlebte Schützengrund 1924 durch die Einrichtung einer Telefonhilfsstelle in der Schule. Dieses Telefon wurde von der Gemeinde ausgiebig benutzt. Nach der Versetzung des I. Lehrers Jobski übernahm Bauunternehmer Joh. Przygodda die Betreuung der Telefonhilfsstelle.

Kirchliche Verhältnisse

Der Schulverband Schützengrund gehörte zum Kirchspiel Fürstenwalde, wo seit 1816 eine evangelische Kirche stand. Der Weg dorthin betrug sieben Kilometer. Die Bevölkerung gehörte fast ausschließlich der ev.-luth. Konfession an. Nur in Schützengrund bekannten sich ca. 25 Seelen und in Rehbruch ca. 15 Seelen zum katholischen Glauben. Eine katholische Kirche konnten die Gläubigen in Liebenberg in einer Entfernung von vier Kilometern besuchen. – Für die alten Leute, die den Weg nach Fürstenwalde zur Kirche nicht schaffen konnten, wurden vom Pfarrer aus Fürstenwalde in der Schule Schützengrund Gottesdienste abgehalten. Zur musikalischen Ausgestaltung des Gottesdienstes wurde die Schule Schützengrund mit einem Harmonium ausgestattet. Es war ein Geschenk des Kriegshilfsvereins Berlin.

Die Feier der Jutrznia

Da im Dorf kein großer Saal für diese Weihnachtsfeier vorhanden war, entschloß sich I. Lehrer Jobski, den Bodenraum über den Klassen und Lehrerwohnungen dazu herzurichten. Es war ein großes Risiko, denn bei starkem Frost konnte die Feier nicht steigen. Die erwachsene Jugend war fleißig behilflich, drei Treppen hoch auf dem Boden eine Spielbühne aufzubauen, holte die notwendigen Sitzbänke aus dem Dorf zusammen. Mit vielen Tannenbäumen wurden die Ecken des Bodens verstellt und in einen grünen Saal verwandelt. Petromaxlampen erleuchteten den Festraum taghell. Beim letzten Vers des Eingangsliedes betraten die Kinder als Engel in weißen Kleidern mit Bändern, Flitter und Schleifen reich besetzt, auf dem Kopf eine Krone oder einen Kranz, in der Hand ein brennendes Licht, in feierlichem Zuge den Raum und schritten zur Bühne hin. Die ganze Weihnachtsgeschichte rollte vor den Augen der Gemeinde ab. Nach vorlesen des Weihnachtstextes wurden die Hirten, die Verkündigung des Engels, die Weisen aus dem Morgenland dargestellt. Weihnachtliche Spiele, Wechselgesänge und Reigen schlossen sich an. Die Feier gestalteten ca. 100 Kinder, und alle wollten den Eltern etwas vortragen. – Die Weihnachtsfeier dauerte drei Stunden, keiner hat gefroren, denn es war ein sehr gelindes Wetter. Alle Spieler und Zuschauer der Feier werden sich beim Lesen dieses Berichtes gern an dieses Kinderspiel erinnern. Auch ein Berichterstatter der polnischen Zeitung "Mazur" aus Ortelsburg hat sich die Weihnachtsfeier angesehen. Im "Mazur" konnte man lesen: "Drei Stunden hat die Jutrznia gedauert, aber es fiel in der zeit kein polnisches Wort."

Der 1. Mai 1935

In diesem Jahr ist ein Naturwunder, das nicht oft wiederkehrt, geschehen. Die Bäume haben schon verschiedentlich Blätterschmuck angelegt; auf den grünen Weiden grasen die Rinderherden. Es ist ein herrlicher Frühling angebrochen. Da kehrt in der Nacht zum 1. Mai der Winter zurück. Dicke Schneeflocken fallen unablässig herab und bedecken Feld und Flur. Auch am 2. Mai dauert der Schneefall an. Die belaubten Bäume können die Schneelast nicht tragen und brechen. Es ist soviel Schnee gefallen, daß die Bauern ihre Schlitten hervorholen und zum Wochenmarkt mit Schellengeläute fahren. Das Vieh muß im Stall gefüttert werden. Schlimm ergeht es dem kleinen Geflügel, das in der warmen Küche untergebracht werden muß. Man war gezwungen, im tiefen Schnee nach Gras und Brennesseln zu suchen. Die Kinder hatten ihre Freude an dem Schnee. Sie bauten Schneemänner und veranstalteten Schneeballschlachten. Eine Woche hat der Winter sein Spiel getrieben, dann verschwand er.

Förster, Landjäger, Zoll in Schützengrund

Die zuständigen Förster für den Belauf Liebenberg der Oberförsterei Friedrichsfelde hatten in der Regel den Wohnsitz in Schützengrund. Vor 1900 wohnte hier Förster Binger über 20 Jahre. Er ist 1906 verzogen. In dem Hause hat sofort Roßmannek seine Meierei mit Motorbetrieb eingerichtet. Nach dem Ersten Weltkrieg baute Gustav Przygodda eine Wohnung für den Förster aus, in die Förster Nöske einzog. Sein Nachfolger war Förster Schulz. In den Kriegsjahren des Zweiten Weltkrieges übte Förster Baller den Forstschutz aus.

1923 ist in Schützengrund eine Landjägerstelle eingerichtet worden. Bis zur Fertigstellung der Dienstwohnung zog der erste Landjäger Gottfried Schiedlowski mit seiner Familie beim Schmiedemeister Martin Zawallich ein. Den Bauplatz für die Landjägerwohnung gab Gastwirt Samuel Rattay. 1925 zog Schiedlowski in die neue Wohnung ein. Sein Dienstbezirk umfaßte die Gemeinden Schützengrund, Rehbruch, Auerswalde und Wehrberg.

1932 wurde Schiedlowski als Landjägermeister nach Weißuhnen versetzt. Sein Nachfolger war Landjäger Bargholz aus Hamburg. 1935 folgte Landjäger Ewald, der mit seiner Familie ebenfalls aus Hamburg gekommen war. Er wurde als Landjägermeister bald versetzt. In den letzten Jahren des Krieges versah Landjäger Dost den Polizeidienst. Zur Bekämpfung des Schmuggels ist ein Schützengrund eine zweite Linie des Zollpostens aufgestellt worden. 1933 haben in Schützengrund zwei Zollbeamte den Dienst getan. 1937 wurden zwei Zollhäuser für die Beamten gebaut.

Gründung einer freiwilligen Feuerwehr

Dank der Initiative von Joh. Krischak und Gustav Orzessek wurde 1926 in Schützengrund eine freiwillige Feuerwehr gegründet. Die Feuersocietät hat zur Einkleidung und Ausrüstung einen namhaften Betrag gespendet. Eine Feuerspritze wurde dem Verein zur Verfügung gestellt. Als erster Wehrführer übernahm Joh. Krischak das Kommando. 1938 trat Krischak in den Arbeitsdienst als Feldwebel ein. Er ist als Oberstfeldmeister 1945 in Heiligenhafen in Holstein gestorben. Die Wehr hat seit 1938 Gustav Orzessek übernommen.

Ein Erlebnis mit Pferdeschmugglern   erzählt von einem Schützengrunder

Es war im Mai 1919. Ich hatte in Ortelsburg zu tun. Da es damals keine Fahrradbereifung gab, mußt ich die 25 Kilometer zu Fuß gehen. Am späten Nachmittag trat ich den Rückweg an. Um Mitternacht war ich auf der Chaussee zwischen Rehbruch und Schützengrund. Da bemerkte ich, wie sich über das Feld von Wehrberg zur Chaussee hin Pferde bewegten. Ich vermutete Schmuggler und nahm sofort volle Deckung, um nicht mit den Dieben zusammenzustoßen.

Es zogen drei Paar Pferde, geführt von je einem Mann, an mir vorbei. Zum Schluß folgte ein Mann mit einem Sack auf dem Rücken. Als die Bande einigen Abstand von mir gewonnen hatte, entsicherte ich meine Pistole und gab zwei Schuß ab. Da bekamen die Schmuggler Beine. In wilder Flucht rannten sie den Feldweg weiter zur Grenze zu und verschwanden. Als die Schulkinder von Kilimann, Abbau Rehbruch, am nächsten Morgen denselben Feldweg zur Schule nach Schützengrund gingen, fanden sie einen Sack mit geköpften Hühnern. – Ich erzählte dieses Erlebnis dem Bürgermeister. Der warnte mich, etwas davon weiter verlauten zu lassen. Es könnte mir so ergehen wie vor Jahren dem Bauern Malkus. Malkus wurde von Schmugglern erschlagen und in einem Torfbruch versenkt, weil er ihnen in den Weg kam.

Erlebnis mit Wilhelm Katzinski

Als Wilhelm Katzinski sein Grundstück im Alter an seine Tochter Berta, verheiratet mit Mosdzen, abgegeben hatte, war er noch immer in der Wirtschaft behilflich. Er klopfte die Sense und half bei der Ernte. – Es war Heuernte, recht heiß. Ich ging um die Mittagszeit an Katzinskis Gehöft vorbei und sah den alten Mann im Schatten des Schuppens seine Sense klopfen. Mit dem alten Bürgermeister ließ sich gemütlich plaudern. Ich ging zu ihm hin, wir sprachen über das Wetter, auch über die Arbeit. Da holte er tief Luft und sagte: "Ich möchte jetzt am liebsten sterben." Ich faßte daraufhin seine Sense und führte sie zum Spaß an seine Gurgel. Doch mit steifen Armen hielt er das gefährliche Eisen von seinem Halse fern. "Aber bloß da nicht!" sagte er plötzlich scharf. "Sie wollten ja doch sterben." Da meinte er lächelnd: "Nein, das habe ich nur sooo gesagt."

Aus dieser Chronik kann man ersehen, wie viele Generationen sich jahrhundertelang erfolgreich bemühten, ein blühendes und ertragreiches Land zu schaffen. Wir lebten darin glücklich und frei. Man hat uns daraus vertrieben.

Dieses Land wird immer uns gehören, solange wir an ein Recht glauben und um seinen Wiederbesitz bemüht bleiben.

Eugen Jobski   Ortelsburger Heimatbote 1990   S. 43-56